In meiner Beitragsreihe Spielzeugsicherheit geht es heute um das Sicherheitsbewertungsverfahren und um Warnhinweise für Kinderspielzeug.
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Herstellung von sicherem Spielzeug ist die Durchführung der Sicherheitsbewertung. Hierbei sollen Gefahren und Risiken des hergestellten Produktes aufgedeckt und abgewendet werden, bevor es in den Verkehr gebracht wird.
Die Sicherheitsbewertung ist, wie schon in einem früheren Beitrag erwähnt, die Aufgabe des Herstellers. Sie findet in der Regel VOR dem Konformitätsbewertungsverfahren statt, da aus den Ergebnissen der Sicherheitsbewertung abgeleitet werden kann, welches Konformitätsbewertungsverfahren anzuwenden ist (dazu mehr im nächsten Beitrag).
Im Klartext: Im Rahmen des Sicherheitsbewertungsverfahrens identifiziert ihr die möglichen Gefahren und prüft, ob euer Spielzeug diesen Gefahren standhält. Außerdem muss eine Bewertung des daraus resultierenden Risikos erfolgen.
Identifikation der Gefahren
Die Sicherheitsbewertung muss alle möglichen Gefahren abdecken, die vom Spielzeug ausgehen können. Dazu gehören chemische, physikalische, mechanische und elektrische Gefahren. Außerdem muss auch eine Bewertung hinsichtlich der Entflammbarkeits-, Hygiene- und Radioaktivitätsgefahren vorgenommen werden.
Laut EU-Richtlinie 2009/48/EG ist eine Gefahr „eine inhärente Eigenschaft des Spielzeugs, die zu einer Verletzung oder einer anderen Gesundheitsschädigung des Benutzers des Spielzeugs führen kann“. Folgende Beispiele führt die Richtlinie auf:
- Gefahren, die zu einem Einklemmen von z.B. Kopf und Hals, Fingern, Gliedmaßen, Füßen und Händen führen
- Gefahren durch bewegliche Teile, die z.B. zu Quetschungen führen
- Gefahren aufgrund vorhandener Bänder usw., die zur Strangulation führen
- Gefahren aufgrund beispielsweise vorhandener kleiner Teile, die zum Ersticken führen
- Gefahren durch vorstehende Teile des Spielzeugs, die zum Ersticken führen
- Gefahren aufgrund vorhandenem Folien oder Verpackungsmaterials, das zum Ersticken führt
- Gefahren durch die Gestaltung der Spielzeuge mit Ecken und vorstehenden Teilen, die zu Schnittverletzungen und anderen Verletzungen führen
- Gefahren aufgrund elektrischer Teile, die zu einem Stromschlag führen
- Gefahren aufgrund vorhandener heißer oder kalter Oberflächen, die zu Verbrennungen führen
- Gefahren aufgrund von Geräuschen, die zu einer Beeinträchtigung des Hörvermögens führen
Quelle: Richtlinie 2009/48/EG über die Sicherheit von Spielzeug: technische Unterlagen, 2011, S.48-49
In den technischen Unterlagen der EU-Richtlinie findet sich eine detaillierte Liste, in der alle möglichen Gefahren sowie zugehörige typische Verletzungsszenarien bzw. typische Verletzungen aufgeführt sind.
Um euch einen Eindruck zu geben, hier eine Übersicht über die Gefahrengruppen und zugehörige Beispiel-Gefahren.
Gefahrengruppen
- Größe, Form und Oberfläche, z.B. Scharfe Kante: Der Benutzer kommt mit einer scharfen Kante in Berührung und erleidet dadurch eine Riss – oder Schnittverletzung.
- Potenzielle Energie, z.B. Erhöhte Position des Benutzers: Der auf dem Produkt befindliche Benutzer verliert das Gleichgewicht, kann sich nicht festhalten und fällt aus größerer Höhe herunter.
- Kinetische Energie, z.B. In Bewegung befindliches Produkt: Der in der Bewegungslinie des Produkts befindliche Benutzer wird von dem Produkt getroffen oder überrollt.
- Elektrische Energie, z.B. Hohe/niedrige Spannung: Der Benutzer berührt ein unter hoher Spannung stehendes Teildes Produkts und erleidet einen unter Umständen tödlichen Stromschlag.
- Extreme Temperaturen, z.B. Heiße Oberflächen: Der Benutzer erkennt nicht, dass die Oberfläche heiß ist, und zieht sich durch Berührung Verbrennungen zu.
- Strahlung, z.B. Ultraviolette Strahlung, Laserstrahlung: Haut oder Augen des Benutzers sind der von dem Produkt freigesetzten Strahlung ausgesetzt
- Brand und Explosion, z.B Überhitzung: Das Produkt überhitzt sich und verursacht einen Brand oder eine Explosion.
- Beim Betrieb eines Produkts entstehende Gefahren, z.B. Überanstrengung: Die Bedienung des Produkts erfordert konstruktionsbedingt einen erheblichen Kraftaufwand.
Quelle: Richtlinie 2009/48/EG über die Sicherheit von Spielzeug: technische Unterlagen, 2011, S.52-58
Prüfung der Gefahren
Habt ihr alle möglichen Gefahren identifiziert, die von eurem Spielzeug ausgehen, so muss nun geprüft werden, ob diese durch die entsprechenden harmonisierten Normen abgedeckt sind. Unter den „harmonisierten Normen“ versteht man in diesem Falle alle für Spielzeug geltenden Normen, die im Amtsblatt der europäischen Union veröffentlicht wurden (eine gute Übersicht gibt’s hier). Hauptsächlich geht es hier um die Normen der DIN EN-71.
Als Hersteller von „Spielzeug mit weicher Füllung“ muss man sein Produkt daher auf die Vorgaben der Normen EN 71-1, EN 71-2 und der EN 71-3 testen. Das wären also konkret Sachen wie Reißfestigkeit, verschluckbare Kleinteile oder Lücken zwischen Teilen, mit denen sich der Benutzer strangulieren könnte.
Prüfungen SELBST durchführen
Die physikalischen-/mechanischen Prüfungen der EN 71-1 und die Entflammbarkeitsprüfungen der EN 71-2 könnt ihr prinzipiell selbst durchführen. Hier ist das bereits erwähnte Self Certification Pack Gold wert, denn hier werden Anforderungen und durchzuführenden Tests wirklich gut und kompakt beschrieben und erklärt, wo hingegen mir das Studium der deutschen EN-Normen wieder deutlich schwerer gefallen ist.
Ansonsten kann ich euch auch den Beratungsservice des Vereins „Wir machen Spielzeug e.V.“ ans Herz legen. Steffi und Nadja von Wir machen Spielzeug unterstützen euch zu attraktiven Konditionen beim kompletten Zertifizierungsprozess und bei der Durchführung der Tests in Eigenregie.
Die Prüfung der EN 71-3 (Migration bestimmter Elemente) auf Schadstoffbelastung eurer verwendeten Materialien hingegen muss von einem Labor vorgenommen werden. Es sei denn, ihr könnt euch von den Herstellern/Lieferanten eurer verwendeten Materialen Nachweise in Form von Zertifikaten/Sicherheitsdatenblättern besorgen, die besagen, dass die Materialien die Anforderungen der EN 71-3 erfüllen.
Einige Hersteller/Lieferanten wie z.B. Westfalenstoffe haben Stoffe in ihrem Sortiment, zu denen es entsprechende Zertifikate gibt. Wenn ihr den Nachweis auf diese Weise erbringen könnt, sind keine zusätzlichen Labortests notwendig!
Prüfungen durchführen LASSEN
Natürlich kann man die Prüfung auch grundsätzlich von einer Prüfstelle durchführen lassen. Aber dies hat seinen Preis. Natürlich ist der abhängig vom zu prüfenden Produkt, aber um euch mal einen groben Rahmen zu geben: Wir haben testweise die Prüfung einer Stoffpuppe auf die EN 71-1 und EN 71-2 beim TÜV Süd angefragt und hier ein erstes grobes Angebot für um die 700 € erhalten.
Zusätzlich seid Ihr als Hersteller verpflichtet zu prüfen, ob die Normen in Bezug auf euer Spielzeug Lücken aufweisen. Damit gäbe es potenzielle Gefahren, die ihr nicht testen könnt. Dies ist entscheidend für die nachfolgende Konformitätsbewertung:
Existieren solche Lücken, so scheidet das Konformitätsbewertungsverfahren „Eigenprüfung“ aus. In diesem Falle kann man das Produkt entweder umbauen, sodass es doch durch die Eigenprüfung getestet werden kann, oder man lässt die Konformitätsbwertung dann von einer entsprechende Prüfstelle wie dem TÜV durchführen.
Anpassung des Fertigungsprozesses
Wenn man mögliche Schwachstellen seines Produktes ermittelt hat, wie beispielsweise ein verschluckbares Kleinteil, so sollte man vor Inverkehrbringen des Spielzeugs diese Gefahr weitgehend beseitigt haben. Das ist ja auch das Ziel der Sicherheitsbewertung, nach dem Motto „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt„.
Das heißt, ihr müsst die Gestaltung oder Fertigung eures Produktes immer wieder anpassen, bis es keine Gefahren mehr aufweist. Oder aber, wenn die Gefahr nicht ausgeschlossen werden kann, die Risiken auf ein „annehmbares Niveau“ verringern.
Die Richtlinie führt folgende Maßnahmen zur Beseitigung von Gefahren und zur Verringerung von Risiken in der Fertigungsphase auf:
- Weitestmögliche Beseitigung der ermittelten Gefahr
- Beschränkung der Zugänglichkeit der Gefahr durch entsprechende Gestaltung
- Beschränkung oder Verhinderung der Zugänglichkeit der Gefahr durch Barrieren usw.
- Unterrichtung des Benutzers über die Restrisiken, die durch entsprechende Gestaltung oder durch sicherheitstechnische Maßnahmen nicht beseitigt werden können
Quelle: Richtlinie 2009/48/EG über die Sicherheit von Spielzeug: technische Unterlagen, 2011, S.50
Dokumentation
Die Sicherheitsbewertung ist vom Hersteller 10 Jahre ab dem Inverkehrbringen des Spielzeugs aufzubewahren und muss den Behörden auf Verlangen zur Verfügung gestellt werden. Die darin aufbewahrten erforderlichen Informationen „tragen zum Nachweis bei, dass die Gefahren durch die Gestaltung oder, wenn dies nicht möglich ist, durch angemessene Informationen und Anweisungen, verringert wurden„.
Quelle: Richtlinie 2009/48/EG über die Sicherheit von Spielzeug: technische Unterlagen, 2011, S.50-51
Warnhinweise für Kinderspielzeug
Die Spielzeugrichtlinie sieht für gewisse Spielzeugkategorien das Anbringen von besonderen Warnhinweisen für Kinderspielzeug vor. Außerdem ist Spielzeug mit allgemeinen Warnhinweisen zur Benutzereinschränkung zu versehen, wenn dies für einen sicheren Gebrauch angemessen ist.
Die Warnhinweise können textlich oder auch als Piktogramme gestaltet sein. Besonders wenn die Warnhinweise für die Kaufentscheidung relevant sind, müssen diese aber für den Verbraucher vor dem Kauf (auch im Web!) klar erkennbar sein. Dies gilt auch für Warnhinweise, welche sich auf Mindest- oder Höchstalter des Benutzers beziehen.
Warnhinweise sind gut lesbar, leicht verständlich und deutlich sichtbar auf dem Spielzeug (z.B. auf einem Etikett) oder auf der Verpackung anzubringen. Allen Warnhinweisen muss das Wort „Achtung“ vorangestellt werden. Zu beachten ist noch, dass die Warnhinweise dem bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Spielzeugs nicht entgegenstehen dürfen. D.h., ihr könnt z.B. nicht auf einen Beißring den Warnhinweis anbringen „Nicht für Kinder unter 3 Jahren geeignet“.